Agile Ausbildungen in der Bundesverwaltung
Datum
08.12.2025
Die Bundesakademie hat 2024 die Ausbildung zum Agilen Coach gestartet. Möchten Sie mehr darüber wissen? Dann interessiert Sie das Interview unserer Kollegin Marie-Christine Mies mit Anja Haag von der Firma msg, die die Ausbildungen für uns durchführt.
Was war der Impuls dafür, agile Ausbildungen wie den Agile Coach und Agile Master speziell für die Bundesverwaltung zu etablieren?
Marie-Christine Mies: Der Impuls kam von meiner ehemaligen Vorgesetzten. Als sie privat selbst eine Agile-Coach-Ausbildung gemacht hatte, war für sie klar: Wir müssen in der Verwaltung etwas ändern und moderner werden. Zur gleichen Zeit stand im Koalitionsvertrag 2023, dass die Bundesverwaltung agiler werden soll – ressortübergreifende Projektteams bilden und Silos überwinden. Das hat uns zusätzlich motiviert.
Also haben wir 2023 mit einem Piloten in den obersten Bundesbehörden begonnen. Seit 2024 ist das Angebot für die gesamte Bundesverwaltung geöffnet. Die Resonanz war riesig – ressortübergreifend war der Wunsch nach Veränderung sehr deutlich spürbar. Inzwischen haben wir über 200 Agile Coaches ausgebildet, bis Ende des Jahres werden es rund 300 sein.
Anja Haag: Unser Impuls kam ganz klar aus der Praxis: Wir haben gesehen, dass die öffentliche Verwaltung neue Formate für Fort- und Ausbildung braucht, um den steigenden Anforderungen gerecht zu werden. Veränderungen in der Verwaltung sind oft komplex - und die Probleme, die dabei entstehen, lassen sich nicht allein mit fachlichem Wissen lösen. In der bisherigen Fortbildung lag der Schwerpunkt häufig auf der Vermittlung fachlicher Fertigkeiten, während persönliche Kompetenzen in separaten Soft-Skills-Trainings behandelt wurden. Was aber fehlte, war ein integrierter Ansatz - und vor allem die Antwort auf die Frage: „Und wie wende ich das jetzt konkret in meinem Arbeitsalltag an?“
Genau hier setzen unsere Ausbildungen zum Agile Coach und Agile Master an. Sie vereinen die erforderlichen fachlichen und personellen Kompetenzen, bringen unterschiedliche Perspektiven zusammen und verankern den Praxisbezug. So können Teilnehmende nicht nur Methoden kennenlernen, sondern sie direkt auf ihre spezifische Arbeitssituation in der Bundesverwaltung übertragen.
Das klingt, als hättet ihr den Puls der Zeit getroffen. Wie ist die Ausbildung in die Gesamtstrategie der BAköV eingebettet?
Marie-Christine Mies: Agilität ist eines von mehreren strategischen Themen. Wir bieten moderne Fortbildungen über verschiedene Lehrgruppen hinweg an – etwa zur digitalen Transformation, zu Führungs- und Kommunikationsthemen oder KI. Seit 2024 gibt es unser Academy Leadership Programm, das Themen wie Agilität, Nachhaltigkeit oder resilientere Demokratie modular zusammenführt. Unser Ziel ist, die Verwaltung zu befähigen, modernen Anforderungen gerecht zu werden. Agilität spielt dabei eine zentrale Rolle.
Anja Haag: Wenn ich die Frage einmal auf unsere Arbeit bei msg übertrage, dann ist die Ausbildung Teil einer langfristigen Linie: Wir begleiten und beraten seit vielen Jahren Verwaltungen bei ihrer digitalen Transformation. Dabei haben wir mit den Themenfeldern New Work und Agilität zwei eigene Schwerpunkte aufgebaut. Hier geht es um modernes und agiles Arbeiten, um neue Formen der Zusammenarbeit und Selbstorganisation, um Organisations-, Führungs- und Teamentwicklung, um agile Frameworks und um New-Work-Prinzipien - immer mit dem Ziel, die Arbeits- und Rahmenbedingungen nachhaltig zu verbessern.
In unserem Selbstverständnis geht es uns darum, „Hilfe zur Selbsthilfe“ zu leisten. Agilität und New Work sind große Schlagworte, wir übersetzen diese für die Verwaltung in eine Praxisrelevanz. Die Befähigung der Mitarbeitenden und Führungskräfte stand für uns dabei schon immer im Mittelpunkt - und aus dieser Haltung heraus sind über die Jahre verschiedene Aus- und Fortbildungsformate entstanden. Die Ausbildung zum Agile Coach und Agile Master ist also nicht isoliert, sondern ein Baustein in einer Gesamtstrategie, die Verwaltungen befähigt, Veränderungen selbstbestimmt zu gestalten.
Wie gelingt es, Agilität in der Ausbildung auch wirklich erlebbar zu machen?
Marie-Christine Mies: Ein wichtiger Baustein ist der Austausch innerhalb der Verwaltung.
Dafür haben wir ein Netzwerk aufgebaut. Das „Netzwerk Agilität“ hat inzwischen knapp 300 Mitglieder. Dort tauschen wir uns verwaltungsintern aus, diskutieren Methoden, Hindernisse und Lösungen. Steter Tropfen höhlt den Stein – wir sehen immer mehr die Anwendung moderner Methoden über die Häuser hinweg.
Anja Haag: Agilität wird erlebbar, wenn wir aufhören, nur auf der Metaebene über Agilität oder New Work zu sprechen, und stattdessen konkrete Probleme und Herausforderungen - die es in jeder Organisation gibt - mit neuen Wegen angehen. In der Ausbildung heißt das: Die Teilnehmenden erleben in der Praxis, welchen Mehrwert echte Zusammenarbeit auf Augenhöhe, die Nutzung der Erfahrung aller und eine klare Zielorientierung bringen. Das sind im Kern die oft zitierten Schlagworte wie agiles Mindset, ExpertInnenstatus, Leistung oder Effizienz - hier aber in den Arbeitsalltag übersetzt.
Genauso wichtig ist das gemeinsame Verständnis - egal ob innerhalb der Verwaltung, in der Zusammenarbeit mit anderen Behörden oder als externe BeraterInnen - dass Veränderung in der Verwaltung nicht von heute auf morgen geschieht. Sie braucht Zeit und Ausdauer. Auf der anderen Seite liegt genau darin auch eine Stärke der Verwaltung: Beständigkeit und Verlässlichkeit.
Wie ist die Ausbildung konkret aufgebaut? Was unterscheidet sie von klassischen Weiterbildungen?
Marie-Christine Mies: Die Ausbildung besteht aus fünf Modulen über fünf Monate – drei in Präsenz, zwei online. Wir haben uns bewusst entschieden, keine zweiwöchige Fortbildung am Stück zu machen, weil wir Selbststudiums Phasen als wichtig erachten. Die funktionieren mal besser mal schlechter, wie das eben immer so ist.
Auch wenn die Online-Formate teilweise als anstrengend erlebt werden, halten wir bewusst daran fest: Agile Coaches sollen auch in der hybriden Arbeitswelt souverän moderieren können.
Anja Haag: Christine hat dazu ja schon viel gesagt, daher nur noch ein paar Ergänzungen aus meiner Sicht: Uns ist wichtig, mit einem klaren didaktischen Konzept zu arbeiten - und zwar so, dass unterschiedliche Lernziele und Übersetzungen in den Arbeitsalltag berücksichtigt werden. Das bedeutet: Methoden - Tools - Relevanz für Praxis - Diskussion - Ausprobieren - Neuentwickeln - Weiterdenken sind dabei unsere Schwerpunkte.
Wir sagen dazu gern „liebevoll respektlos gegenüber jeder Methode“. Denn wichtiger als die Methode selbst - ob Scrum, Kanban oder etwas anderes - ist für uns die Frage: Wozu setzen wir sie ein, was möchten wir damit lösen? Wenn eine Methode in der Praxis nicht funktioniert oder sogar neue Probleme schafft, ist es entscheidend, das Hinterfragen zu können und flexibel zu reagieren, um neue (Methoden-)Ideen und Wege zu finden.
Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit den Bildungsträgern wie msg?
Marie-Christine Mies: Wir geben den durchführenden Firmen bewusst Freiraum in der didaktischen Umsetzung, denn die persönliche Vermittlungsart ist entscheidend – das hat viel mit individuellem Spirit zu tun. Euer Workbook zum Beispiel war anders aufgebaut als unser Modulkonzept – methodisch-didaktisch aber absolut sinnvoll. Das haben wir übernommen.
Gleichzeitig verstehen wir den Entwicklungsprozess als iterativ: Es gibt zunächst ein Grobkonzept, auf dessen Basis gearbeitet wird. Danach folgen Feedbackschleifen, in denen wir gemeinsam prüfen, anpassen und verfeinern.
Wichtig ist uns außerdem, dass die Bildungsträger Erfahrung im Verwaltungsumfeld mitbringen. Nur wer die Abläufe, Rahmenbedingungen und Besonderheiten der Bundesverwaltung kennt, kann agile Methoden wirklich realitätsnah und praxisgerecht vermitteln.
Anja Haag: Aus unserer Sicht funktioniert die Zusammenarbeit so gut, weil wir ein gemeinsames Ziel verfolgen: die Ausbildung so zu gestalten, dass sie nicht nur die Realität in der Verwaltung widerspiegelt, sondern konkrete Verbesserungen anstößt. Wir bringen unsere Erfahrung aus Transformationsprojekten ein und achten darauf, dass Inhalte und Formate den Teilnehmenden helfen, ihre Arbeitsweisen weiterzuentwickeln und wirksam zu gestalten.
Dabei schätzen wir besonders, dass die BAköV als zentraler Fortbildungsanbieter auf Bundesebene proaktiv vorangeht. Das ist ein wichtiger und mutiger Schritt – und wir bringen uns sehr gerne in diesen Prozess ein. Wertvoll ist auch die Art der Zusammenarbeit: Wir tauschen proaktiv Ideen aus, analysieren gemeinsam das Feedback der Teilnehmenden und entwickeln daraus Konzepte weiter. Den Freiraum, den wir in der Gestaltung haben, nutzen wir, um unseren eigenen Ansatz einzubringen – mit starkem Praxisbezug, echten Beispielen aus dem Verwaltungsumfeld und Methoden, die wir gezielt auf die Bedürfnisse der Teilnehmenden zuschneiden. So entsteht aus der Verbindung des Rahmens der BAköV und unserer Expertise ein Format, das Veränderungen nicht nur erklärt, sondern erlebbar macht.
Was wünschst du dir für die nächsten Jahre, wenn es um agile Kompetenzen in der Verwaltung geht?
Marie-Christine Mies: Für uns ist Agilität ein Instrument der Staatsmodernisierung. Ohne sie geht es nicht. Aber sie ist auch kein Allheilmittel. Ich bin kein Fan davon zu sagen: Jedes Referat muss jetzt zu 100% agil werden, denn es gibt Arbeitsbereiche, die sich für agile Methoden nicht eignen. Agilität darf kein Selbstzweck sein, sie muss einen Mehrwert bringen. Und dafür kann ein gesunder Pragmatismus helfen, um zu schauen: Wo passt welches agile Element? Für mich bedeutet das auch, sich kleine Schritte zu erlauben. Eine Retrospektive alle drei Monate, ein Check-in im Teammeeting – das reicht manchmal schon. Besser 80 % gut umgesetzt als 100 % angestrebt und dann scheitern. Better done than perfect.
Anja Haag: Ich wünsche mir, dass Verwaltungen - und vor allem die Menschen, die dort jeden Tag ihr Bestes geben - noch mutiger werden, Veränderungen anzustoßen. Oft braucht es dafür gar keinen großen Wurf, sondern den Impuls, eine kleine Idee einzubringen, die im Alltag etwas spürbar verbessert. Das kann zum Beispiel eine Besprechung sein, die so überarbeitet wird, dass Zeit und Ergebnisse im Vordergrund stehen und alle Beteiligten davon profitieren.
Genauso wünsche ich mir, dass auf allen Hierarchieebenen der Mut und die Motivation wächst, agile Kompetenzen für sich zu entdecken - und dass Führungskräfte Vertrauen und Verantwortung an ihre Mitarbeitenden abgeben können. Führung verstehe ich dabei nicht nur als Steuerung, sondern auch als gemeinsame Zielorientierung: Ziele so zu setzen, dass sie Orientierung geben, Handlungsspielräume eröffnen und Sinn stiften. Denn genau da entsteht Raum, in dem Menschen ihre Stärken einbringen und gemeinsam etwas bewegen können.
Gibt es noch etwas, das dir besonders wichtig ist?
Marie-Christine Mies: Agilität bedeutet nicht Chaos, sondern klare Struktur. Ein gutes Beispiel ist Timeboxing: Der bewusste Umgang mit Zeitressourcen schafft Verbindlichkeit und gibt Orientierung. Und auch Agilität braucht Führung – nur in einem anderen Verständnis. Nicht jeder Mensch arbeitet gerne agil, manche benötigen klare Vorgaben und feste Abläufe. Gute Führung bedeutet, diese Unterschiede wahrzunehmen und passend zu handeln.
Anja Haag: Ja, vielleicht noch ein Gedanke: Wenn wir über Agilität in der Verwaltung sprechen, dann geht es nicht nur um interne Modernisierung. Am Ende profitieren auch die Bürgerinnen und Bürger. Agilere Arbeitsweisen helfen uns, schneller auf neue Anforderungen zu reagieren, praxisnähere Lösungen zu entwickeln und die Verwaltung insgesamt handlungsfähiger zu machen. Das ist für mich der eigentliche Kern – Agilität ist kein Selbstzweck, sondern ein Werkzeug, um den öffentlichen Dienst besser für die Gesellschaft aufzustellen.
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